Zeugnisverweigerungsrecht: Das Recht auf Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht geht nicht auf die Erben über

Häufig sind handschriftlich verfasste Testamente nicht ganz klar oder aus juristischer Sicht nicht eindeutig formuliert, so dass sie ausgelegt werden müssen, um den mutmaßlichen Willen des Erblassers zu ermitteln. Bei der Ermittlung könnten dann häufig Ärzte oder Rechtsanwälte helfen, die den Erblasser betreut haben. Wie in solchen Fällen mit deren Schweigepflicht umzugehen ist, war die elementare Frage des folgenden Falls vom Oberlandesgericht München (OLG).

Ein Mann hatte sich von einem Rechtsanwalt zunächst beraten lassen, dann aber sein Testament selbst handschriftlich verfasst. Nach seinem Tod stritten die Erben darüber, ob eine der Verfügungen im Testament über ein Grundstück ein Vorausvermächtnis oder eine Teilungsanordnung darstellte. Eine der Beteiligten wollte daraufhin den Rechtsanwalt als Zeugen in dem Verfahren laden, was dieser jedoch unter Verweis auf die anwaltliche Schweigepflicht ablehnte. Das wollte die Frau nicht akzeptieren und trug dagegen vor, dass es dem mutmaßlichen Willen des Erblassers entspräche, dass sein bisheriger Rechtsbeistand Auskunft über seinen Erblasserwillen erteilt. Der Rechtsanwalt kann sich daher nicht auf seine anwaltliche Schweigepflicht berufen und das Zeugnis verweigern.

Das OLG wies zunächst darauf hin, dass Erben nicht über die Entbindung von der Schweigepflicht entscheiden können. Die Pflicht zur Verschwiegenheit dient dem Schutz der Geheimsphäre des Einzelnen und kann daher grundsätzlich nur durch denjenigen aufgehoben werden, zu dessen Gunsten sie besteht. Der Rechtsanwalt muss nach dem Tod seines Mandanten nach pflichtgemäßem Ermessen selbst darüber entscheiden, ob er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht oder aussagt und damit Vertrauliches offenbart, was dem (mutmaßlichen) Willen des ehemaligen Mandanten entspricht. Im Fall einer Zeugnisverweigerung muss er jedoch angeben, worauf er diese stützt. Er kann seine Entscheidung nicht nur mit allgemeinen Erwägungen begründen. Da der Anwalt in diesem Fall keine Gründe für seine Verweigerung angegeben hatte, stand ihm auch kein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht zu.

Hinweis: Die anwaltliche Schweigepflicht umfasst alles, was Rechtsanwälten im Rahmen eines Mandatsverhältnisses anvertraut wurde. Anvertraut sind nicht nur Tatsachen, bei denen der Wunsch nach Vertraulichkeit ausdrücklich ausgesprochen wird; es genügt auch das stillschweigende Verlangen nach Geheimhaltung. Das Zeugnisverweigerungsrecht betrifft nicht nur schriftliche oder mündliche Mitteilungen, es erstreckt sich auch auf alle sonstigen Umstände, die der Rechtsanwalt aufgrund und im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit erfährt. Das Zeugnisverweigerungsrecht wirkt grundsätzlich über den Tod der Mandanten hinaus.


Quelle: OLG München, Urt. v. 24.10.2018 - 13 U 1223/15