Verfassungsbeschwerde teils erfolgreich: Verfassungsgericht bewertet Wirksamkeit und Stimmverteilung der Beschlüsse von Erbengemeinschaften

In einer Erbengemeinschaft entscheiden die Miterben grundsätzlich gemeinsam. Wichtige Entscheidungen - wie etwa die Veräußerung eines Grundstücks - müssen einstimmig getroffen werden. Für die anderen Entscheidungen reicht hingegen die Stimmenmehrheit. Was bei der Stimmengewichtung jedoch genau zu beachten ist, zeigt die folgende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG).

Ein Mann wurde von seiner Frau und seinem Enkel zu je 40 % sowie einer Tochter zu 20 % beerbt. Die Erbengemeinschaft fasste gegen den Willen der Tochter mehrere Beschlüsse, wobei der Enkel teilweise sowohl im eigenen Namen als auch durch eine Vorsorgevollmacht im Namen der Witwe allein handelte. Bei einigen dieser Beschlüsse war die Witwe wegen eines Interessenkonflikts mit ihrem Stimmrecht ausgeschlossen. Die Tochter hielt diese Beschlüsse für unwirksam. Sie trug vor, dass die Witwe geschäftsunfähig war und daher keine wirksame Vorsorgevollmacht erteilen konnte. Damit hatte der Enkel ihrer Ansicht nach nicht die erforderliche Stimmenmehrheit.

Das BVerfG weist zunächst auf den Grundsatz hin, nach dem es für minderjährige, abwesende und betreute Miterben der Bestellung eines Vormunds, Pflegers oder Betreuers nicht bedarf, sobald auch ohne diesen Miterben eine beschlussfähige Mehrheit vorhanden ist. Wenn die Mehrheit also einen Beschluss fasst, kommt es auf den Geschäftsunfähigen im Ergebnis nicht an, so dass die Bestellung eines Betreuers für diesen Zweck als überflüssige Förmelei erscheint. Dabei ist die Quote dieses Miterben jedoch durchaus zu berücksichtigen. Ist ein Miterbe von der Abstimmung hingegen wegen Interessenkollision ausgeschlossen, hat dies zur Folge, dass allein die Mehrheit der verbleibenden Stimmen - also gegebenenfalls eine Minderheit - entscheiden kann.

In den Fällen, in denen die Witwe aufgrund des Interessenskonflikts ausgeschlossen war, betrug der Stimmenanteil somit nur 60 %, so dass der Enkel mit seinem Anteil von 40 % durchaus alleine entscheiden konnte. In den anderen Fällen betrug der Stimmanteil hingegen 100 % - unabhängig davon, ob die Witwe geschäftsfähig war oder nicht. Sofern der Enkel also keine wirksame Vorsorgevollmacht hatte, konnte er nicht alleine entscheiden, da er mit 40 % keine Mehrheit hatte.

Hinweis: Die Stimmenmehrheit berechnet sich nach der Größe der Erbteile. Es ist dabei unerheblich, ob einzelne Miterben abwesend, minderjährig oder betreut sind. Das BVerfG stellte hier klar, dass der Stimmenanteil sich nur reduziert, sofern ein Miterbe wegen eines Interessenskonflikts von der Abstimmung ausgeschlossen ist. Damit können die Stimmanteile fürsorgebedürftiger Miterben nicht einfach übergangen werden, indem sie vorab herausgerechnet werden.


Quelle: BVerfG, Beschl. v. 28.05.2019 - 1 BvR 2833/16
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 12/2019)