Frage von Zeit und Willen: Wann der Tod eines Paars rechtlich als "gemeinsam" zu bewerten ist
Der folgende Erbrechtsfall des Oberlandesgerichts München (OLG) zeigt einmal mehr: Die Auslegung von letztwilligen Verfügungen ist gerade bei privatschriftlich errichteten Testamenten neben den klaren und eindeutigen Formulierungen von grundlegender Bedeutung, um den Willen der Erblasser so genau wie möglich zu ermitteln.
Hierbei ging es um die Auslegung eines handschriftlichen Testaments, das die kinderlosen Erblasser aufgesetzt und in dem sie sich wechselseitig zu Alleinerben eingesetzt hatten. Darin war unter anderem verfügt, dass im Fall eines gemeinsamen Todes - beispielsweise durch einen Unfall - der gesamte Nachlass an die Nichte fallen sollte. Der überlebende Ehegatte sollte - bei nicht gemeinsamem Versterben beider Erblasser - wiederum das Recht erhalten, einen "Nacherben" zu bestimmen. Der Ehemann war schließlich vorverstorben und von der Ehefrau als Alleinerbin beerbt worden. Dann verstarb die Erblasserin jedoch nur zehn Tage nach ihrem Ehemann zu einem Zeitpunkt, zu dem bei der Frau bereits seit mehreren Jahren eine senile Demenz vorlag. Schließlich landete die Erbsache vor Gericht, das die im Testament gewählten Formulierungen nun mit den Tatsachen abgleichen musste. Die Frage nach der Auslegung war deshalb relevant, weil im Fall eines "gleichzeitigen" Versterbens die Nichte aufgrund testamentarischer Regelung zur Alleinerbin geworden wäre. Handelte es sich nicht um einen Fall eines gleichzeitigen Versterbens, wäre die gesetzliche Erbfolge nach der Erblasserin eingetreten. Sind zehn Tage nun angesichts der durchschnittlichen Lebenserwartung als "gleichzeitig" anzusehen, womit die Nichte zur Alleinerbin werden würde? Oder ist ein Zeitraum von zehn Tagen zwischen beiden Sterbefällen eben nicht als ein "gemeinsamer Tod" anzusehen, so dass die gesetzliche Erbfolge greift?
Das OLG kam nach einer Auslegung dieser Formulierung zunächst zu dem Ergebnis, dass die Eheleute den Fall des zeitgleichen Versterbens gemeint haben. Ein Indiz für diesen Willen der Eheleute war die Nennung des Beispielsfalls "Unfall", bei dem es sich um einen gemeinsamen Lebenssachverhalt handelt. Doch die Auslegung dieser Formulierung ergab auch, dass die Ehegatten nicht nur den Fall ihres gleichzeitigen Todes geregelt wissen wollten, sondern auch ein zeitliches Nacheinanderversterben. Dadurch, dass eine Schlusserbeneinsetzung in dem Testament noch nicht vorgenommen worden war, sollte nach der Auslegung dem überlebenden Ehegatten zumindest noch die Möglichkeit eröffnet sein, eine weitere letztwillige Verfügung von Todes wegen zu errichten. Da die Erblasserin zum Zeitpunkt des Todes ihres Ehemanns aber selbst nicht mehr dazu in der Lage war, eine eigene letztwillige Verfügung von Todes wegen zu treffen, kam das Gericht hier zu dem Ergebnis, dass auch dieser Fall des zeitlichen Nacheinanderversterbens ebenfalls mit der Formulierung "gemeinsamer Tod" gemeint war - die gesetzliche Erbfolge kam also in diesem Fall nicht zum Tragen.
Hinweis: Klare Formulierungen verhindern Fehler bei der Auslegung von letztwilligen Verfügungen. Grundsätzlich hat der Wortlaut der Verfügung Vorrang vor einer Auslegung nach dem Sinn und Zweck.
Quelle: OLG München, Beschl. v. 01.12.2021 - 31 Wx 314/19
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(aus: Ausgabe 02/2022)